Dr. Marc Esser, Dr. Stefan Lang (veröffentlicht in Healthcare Marketing 2010; 7(7):28-30)

Texte in der Pharmakommunikation

Texte sollen dem Leser schmecken, denn sie verkaufen Produkte. Das gilt vor allem in Branchen wie der Pharmaindustrie, deren Produkte wenig haptische oder visuelle Anreize bieten. Angefangen von »Papern«, Produktmonografien, Broschüren oder Salesfoldern bis hin zu Mailings und Pressemitteilungen: Es wird viel geschrieben.

Dimensionen der Textoptimierung

Verständlichkeit ist die Grundvoraussetzung, damit ein Text seine Ziele erreicht, beispielsweise Verkaufsförderung, Imagebildung und Produktpositionierung. Ein unverständlicher Text leistet nichts. Aber wodurch wird ein Text verständlich? Und was macht ihn attraktiv und werblich? Hier einige Antworten der Linguistik:

Die Linguistik beschäftigt sich seit jeher mit den Themen Textverständlichkeit und Textverstehen, seit den 1970er Jahren zunehmend auf empirischer Grundlage. Sprachwissenschaftliche »Dimensionen« optimaler Texte finden sich im sogenannten Hamburger Verständlichkeitsmodell, das auf empirischen Analysen beruht, und dem theoretisch-deduktiven Verständlichkeitsmodell von Groeben. In beiden Modellen werden vier Dimensionen unterschieden, die überwiegend deckungsgleich sind:

1. Einfachheit

2. Ordnung

3. Prägnanz

4. Stimulanz

Wir wollen diese Kriterien näher anschauen und der Frage nachgehen, welche Bedeutung sie für die Textqualität beim Medical Writing haben. Dabei ist zu beachten, dass innerhalb der genannten Dimensionen sehr unterschiedliche Subkriterien relevant sein können. Wir haben uns deshalb auf wenige Punkte konzentriert, die beim Medical Writing eine besondere Bedeutung haben.

Einfachheit: Auf die Wortwahl kommt es an

Die Dimension der sprachlichen (oder auch stilistischen) Einfachheit stützt sich unter anderem auf Ergebnisse der Lesbarkeitsforschung, Stilforschung sowie auf sprachpsychologische Befunde zur Satzverarbeitung. Hier geht es vor allem um die Wortwahl und den Satzbau.

Zunächst zur Wortwahl: Beim Medical Writing kommt der korrekten Verwendung von Fachtermini eine große Bedeutung zu. In Stilratgebern wird grundsätzlich gefordert, möglichst einfache Wörter zu verwenden. Übersehen wird hierbei allerdings die Zielgruppenaffinität eines Textes. Je allgemein verständlicher Texte werden, desto weniger fühlen sich bestimmte Adressaten von ihnen angesprochen. Ein für alle potenziellen Rezipienten maximal verständlicher Text dürfte ein Fachpublikum kaum noch interessieren. Texte, die beim Leser etwas bewegen sollen, müssen eine Identifikation mit dem Leser stiften. Deshalb kommt es eher darauf an, den Sprachgebrauch der Zielgruppe so perfekt wie möglich nachzuempfinden, statt ihn zu vereinfachen. Wenn man also für Ärzte schreibt, die eben einen gewissen »Slang« benutzen und sich auch über ihre Fachsprache identifizieren, muss der Autor diesen Sprachgebrauch übernehmen. Hieran scheitern viele Quereinsteiger, die keinen medizinisch-naturwissenschaftlichen Hintergrund haben. Der Arzt merkt sofort, ob ein »Kollege« getextet hat oder ein »Nicht-Kollege«.

Neben der richtigen Wortwahl spielt die Anschaulichkeit eine wichtige Rolle für Textverständnis, Behaltensleistung und Werblichkeit. Gesteigert wird die Anschaulichkeit durch die Verwendung von Metaphern und Analogien. Dabei sollte man Bezüge zur Vorstellungswelt der Zielgruppe herstellen.

Beispiel: »So gelingt es mit unserem Testverfahren, unter 8 Milliarden Proteinen ein einziges selektiv nachzuweisen.«

Anschaulichkeit durch Ergänzung: »Das entspricht der Genauigkeit, aus der gesamten Menschheit einen Menschen zielsicher zu identifizieren.«

Als besonders wichtig für die Einfachheit eines Textes hat sich in empirischen Untersuchungen der Satzbau herausgestellt. Die in Stilratgebern oft zu findende Regel, wonach kurze Sätze besser verständlich sein sollen als lange, ist aus linguistischer Sicht zu relativieren. Hierzu eine Aussage des Neurowissenschaftlers Ernst Pöppel, die als 3-Sekunden-Regel bekannt wurde:

»Für unser Bewusstsein ist die Gegenwart ein Fenster, das sich jeweils für zwei bis drei Sekunden öffnet. Was zwei Sekunden währt, empfinden wir als angenehm, was drei Sekunden überschreitet, vermögen wir nicht mehr als Einheit zu umfassen (…). Auch Satzkonstruktionen liegen in diesem Zeitbereich.«

Für die Schreibpraxis bedeutet das: Lange Sätze dürfen sein, solange sie den Regeln der Verständlichkeitsforschung folgen. Schachtelsätze, Negationen, Passivsätze und der Nominalstil sollten möglichst vermieden werden und die relevanten Informationen in einer 3-Sekunden-Einheit codiert sein.

Wie schreibt man Sätze, die der 3-Sekunden-Regel gehorchen, ohne in ein Stakkato kurzer Hauptsätze zu verfallen? Besteht das Verb, wie in über 75% aller Fälle im Deutschen aus zwei Elementen (zweiteiliges Verb, z.B. »etwas trat ... ein« oder Konstruktionen mit Hilfsverb, z.B. »ich habe ... geholfen«), dann umklammern diese beiden Elemente in aller Regel ein »Mittelfeld«, welches das Objekt und die Umstandsangaben enthält. Der Sprachwissenschaftler spricht hier von linker Satzklammer (LS) und rechter Satzklammer (RS). Wo im Englischen und in den romanischen Sprachen jeder Satz frühzeitig durch Nennung des vollständigen Verbs seine Aussage offenbart, wird im Deutschen die erhellende zweite Hälfte des Verbs an das Satzende geschoben. Was für einen Kriminalroman vorteilhaft ist, nämlich die Auflösung am Ende, erweist sich für die Verständlichkeit komplizierter Inhalte als Problem. Das verdeutlicht folgendes Schema:

Vorfeld LS Mittelfeld RS Nachfeld
Das Medikament hat in einer Vielzahl von klinischen Studien der Phase I-III, die doppelblind und placebo-kontrolliert durchgeführt wurden, seine Wirksamkeit und Sicherheit belegt.  
Das Medikament hat seine Wirksamkeit und Sicherheit in einer Vielzahl von klinischen Studien der Phase I-III belegt, die doppelblind und placebo-kontrolliert durchgeführt wurden.

Im Mittelfeld liegt das Problem der Verständlichkeit. Häufig wird es mit Satzgliedern überfrachtet, bis der Abstand zwischen beiden Satzklammern so groß geworden ist, dass man ihn ohne »Zurücklesen« nicht mehr überbrücken kann. Deshalb sollte man im Sinne der 3-Sekunden-Regel den Abstand zwischen beiden Klammern nicht größer werden lassen als 9 Wörter. Am einfachsten geschieht das, indem Satzglieder aus dem Mittelfeld ins Nachfeld verlagert werden, wie im zweiten Beispielsatz unseres Schemas.

Fazit zur Einfachheit: Ein höheres Sprachniveau sollte sich nicht in einer komplizierten Satzgestaltung niederschlagen. Vielmehr sollte der Texter versuchen, das Sprachniveau seines Textes über die Wortwahl zu regulieren – der Satzbau aber sollte immer einfach und damit verständlich bleiben.

Ordnung: Logik ist gefragt

Eine übersichtliche und folgerichtige Gliederung erleichtert das Textverständnis. Dieser Aspekt wird von Schreibratgebern, die sich eher der Textoberfläche widmen, häufig nicht angemessen berücksichtigt. Die Struktur der Inhalte ist für das Verständnis eines Textes jedoch von außerordentlicher Bedeutung, vor allem bei komplizierten medizinisch-wissenschaftlichen Inhalten. Diese Ordnung oder logische Grobstruktur wird bei medizinischen Fachartikeln durch die »IMRAD« Struktur weitgehend vorgegeben, also die etablierte Reihenfolge Introduction, Methods, Results, AND Discussion. Außerhalb medizinischer Fachartikel ist die Ordnung weniger offensichtlich. Zwar gibt es auch hier bestimmte Gliederungskriterien, die sich durchgesetzt haben, jedoch nicht mit derselben Verbindlichkeit. So folgen längere Texte über Pharmaka meistens der Struktur: Biochemie, vorklinische Studienergebnisse, klinische Studienergebnisse und Arzneimittelsicherheit. Auch ein Kapitel über die Wirtschaftlichkeit wird inzwischen häufig eingefügt. Damit sind alle relevanten Aspekte eines Medikaments beschrieben.

Neben einer solchen Grobgliederung existieren weitere »Tricks«, seine Texte zu organisieren: Strukturierungen durch Subheadlines, Ankersätze und sequentielles Arrangieren. Subheadlines werden dem Text vorangestellt und nehmen den Inhalt in abstrakter Form vorweg. Damit leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Orientierung und auch zur besseren Aufnahme der Werbeinformationen. Ein ähnliches Werkzeug zur Textstrukturierung sind Ankersätze. Sie stehen an besonderen Positionen am Anfang und am Ende eines Absatzes, denn dort erwartet der Leser wichtige Informationen. So kann mit einem öffnenden Ankersatz die Botschaft vorausgeschickt werden, damit der Leser die folgenden Details leichter einordnen kann. Ein schließender Ankersatz fasst zusammen und leitet zum nächsten Gedanken über.

Beispiel:

Öffnender Ankersatz: »Dieser neue Therapieansatz beim Typ-2 Diabetes wirkt direkt in der Bauchspeicheldrüse.«
[Details dieser Wirkung: Biochemie, Zellphysiologie, Stoffwechselkaskaden]

Schließender Ankersatz: »Mit der Regulation der genannten Prozesse wird eine Normalisierung des Glukosestoffwechsels erreicht.«

Beim sequentiellen Arrangieren geht es darum, die Reihenfolge der Textinformationen zu optimieren. Idealerweise sollte die Reihenfolge der Informationen vom Allgemeinen zum Speziellen voranschreiten. Andere Arrangements sind möglich: vom Unwichtigen zum Wichtigen oder eine chronologische Anordnung. Entscheidend ist, sich vor dem Schreiben darüber Gedanken zu machen. Denn die Reihenfolge der Argumente in einem vollständig ausformulierten Text zu optimieren, ist kompliziert und fehlerträchtig.

Prägnanz: Wer was zu sagen hat, macht nicht viele Worte

Prägnant schreiben, heißt Aussagen zugespitzt und griffig formulieren, so dass sie behalten werden. Man sollte sich also auf das Wesentliche konzentrieren. Trotzdem ergehen sich Broschüren oft in Nebenaspekten. Die Kernbotschaft – beispielsweise die Vorteile des Produktes für den Patienten – wird so verwässert und nicht mehr wahrgenommen.

So wichtig die Prägnanz ist, so hilfreich können auch Wiederholungen sein. Wiederholungen erhöhen die Verständlichkeit – wichtig für die komplizierten Texte über Pharmaka. Redundanz sorgt auch dafür, dass Entscheidendes besser behalten wird – gut für die Werblichkeit. Die Kunst besteht darin, die Redundanz durch eine geschickte Wortwahl oder die Betonung eines neuen Aspektes zu verstecken. Positiver Nebeneffekt: Aus einem Produktvorteil werden zwei. Auch sollte die Informationsdichte eines guten Textes nicht zu hoch sein. Berücksichtigt werden muss bei Werbemitteln, dass Informationen auch mit einem niedrigen Aufmerksamkeitsgrad des Lesers erfasst werden, was einer zu gedrängten Darstellung widerspricht.

Ein weiterer Aspekt der Prägnanz ist die Präzision. Werbeaussagen sollten möglichst konkret Produktvorteile benennen. Fakten und Zahlen verleihen Glaubwürdigkeit und drängen sich deshalb als Werbebotschaften auf. Werbung, die auf Apotheker und Ärzte abzielt, muss berücksichtigen, dass man es mit rational trainierten Adressaten zu tun hat, die täglich mit Zahlen und harten Fakten arbeiten und argumentieren. Allgemeinplätze wie »erwiesene Wirtschaftlichkeit« oder »exzellente klinische und pharmakologische Datenlage« sind zu vermeiden.

Stimulanz: Den Leser verführen

Die Stimulanz ist die Dimension der Linguistik, die am ehesten mit der Werblichkeit von Texten im Zusammenhang steht. Wirksamstes Mittel, Interesse und Motivation zu wecken, ist der Neuheits- und Überraschungswert von Textinhalten. Dieses Mittel wird eher durch das Produkt als durch den Texter limitiert. Die Linguistik empfiehlt, durch das Schaffen von kognitiven Konflikten Erregungspotential und Neugier auszulösen, etwa indem Informationen in einen Text eingefügt werden, die in Widerspruch zum bisherigen Wissen oder zu Konventionen stehen. »Neuroradiologie unvollständig« heißt ein Weiterbildungsprogramm von Bayer Vital, das diesen Ansatz auf den Punkt bringt. Der Leser wird irritiert und aufmerksam. Doch Vorsicht: Das Irreführungsverbot des Heilmittelwerbegesetzes setzt diesem Vorgehen bei der Produktwerbung enge Grenzen.

Auch Fragen stimulieren, wie überhaupt jede Abwechslung im Satzbau vom Leser begrüßt wird. Eine interessant und geschickt formulierte Frage wird einerseits gut behalten und führt außerdem zu mehr Interesse an der dazugehörigen Antwort: »Wollen Sie wissen, wieso Inkretine keine Hypoglykämien auslösen?« Ja, sagt sich der potenzielle Verordner und liest den Text. Aber nicht übertreiben: Zu viele Fragen wirken »platt« und »verkäuferisch«. Gebildete Zielgruppen wie Ärzte und Wissenschaftler reagieren hierauf besonders sensibel.

Probate Mittel der Stimulanz sind ferner Abbildungen und Grafiken, die Neugier für einen Text wecken und einer »Buchstabenmüdigkeit« vorbeugen. Insofern hat das Streben nach Stimulanz Konsequenzen für die Typografie und das Layout von Werbemitteln. Ohne dieses weite Feld hier komplett abhandeln zu können, sei ein Punkt herausgestellt, der in unserer Erfahrung besonders relevant ist: In ihrer Absicht, möglichst wissenschaftlich (und damit glaubwürdig) zu wirken, orientieren sich viele Unternehmen bei der Gestaltung ihrer Werbematerialien an Lehrbüchern. Das Resultat sind oft kleine Schriftgrößen und eine schlechte Leserlichkeit. Es wird vergessen, dass der Arzt, der für ein Lehrbuch viel Geld ausgegeben hat, eine viel höhere Lesemotivation besitzt, sich durch das Buch zu arbeiten als durch eine Broschüre. Wird dieser Aspekt nicht beachtet, leidet die Stimulanz – und damit die Werbewirkung.

Dimensionen der Textoptimierung

Einfachheit

  • Korrekte Fachterminologie
  • Anschaulichkeit
  • Beachtung der 3-Sekunden-Regel

Ordnung

  • Logische Grobstruktur
  • Sequentielles Arrangieren
  • Angemessene Hervorhebungen
  • Einsatz von Zusammenfassungen
  • Treffende Subheadlines

Prägnanz

  • Zuspitzung der Inhalte
  • Beschränkung auf wesentliche Produktvorteile
  • Angemessene Redundanz
  • Präzision der Aussagen

Stimulanz

  • Einsatz von Fragen
  • Erzeugung kognitiver Konflikte
  • Abwechslungsreicher Satzbau
  • Stimulation durch Typografie und Layout

Fazit zur Textoptimierung: An den Leser denken!

Längst sind bei der Optimierung der Verständlichkeit und Stimulanz von Texten in der Pharmakommunikation nicht alle Möglichkeiten ausgereizt. Eine Optimierung sollte dabei immer die kommunikative Absicht eines Textes und die dominante Zielgruppe berücksichtigen. Ein höheres Sprachniveau sollte sich nicht in einer schwierigeren Satzgestaltung niederschlagen. Vielmehr sollte der Texter versuchen, das Sprachniveau seines Textes über die Wortwahl zu regulieren. Auch durch ordnende Eingriffe, prägnante Formulierungen, Kürzungen und den dosierten Einsatz stimulierender Mittel zur Textgestaltung wie Fragen oder kognitive Konflikte lassen sich Texte optimieren.

Kann man Schreiben lernen? Wir geben seit einigen Jahren Seminare über »Texten für Healthcare«. Unser Fazit: Man lernt Schreiben vor allem durch ständige Textarbeit – Schreiben, Umschreiben, Neuschreiben. Schreiben ist harte Arbeit, ein klarer Satz kein Zufall. Sehr wenige Sätze stimmen schon beim ersten Versuch. Um über die eigene Textproduktion reflektieren zu können, muss man Autoren Qualitätskriterien an die Hand geben. Die hier vorgestellten Dimensionen der Textoptimierung sind solche Qualitätskriterien – sie helfen, die Wirkung eines Textes zu verbessern.