Dipl.-Pharm. Lisa Marie Kiesel, Dr. Mira Meyer-Ács, Dr. Marc Esser (veröffentlicht in Market Access & Health Policy 2023; 15(1): 20–21)
Ohne Value keinen Preis
Erstattungsbetragsverhandlungen im AMNOG erfolgreich führen
Teil 2: Die Value Story
Im ersten Teil unserer Mini-Serie haben wir die kommunikativen Herausforderungen einer Erstattungsbetragsverhandlung zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV) und dem pharmazeutischen Unternehmer (pU) skizziert und die lösungsorientierte Kommunikation als strategisches Konzept vorgestellt. Man muss kein Prophet sein: Die Veränderungen, die durch das kürzlich verabschiedete GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) resultieren, wie beispielsweise die neu eingeführten Preisobergrenzen für Arzneimittel mit nicht belegtem, nicht-quantifizierbarem oder nur geringem Zusatznutzen, werden weitere Herausforderungen für den pU mit sich bringen und die Rahmenbedingungen für das Pricing erschweren. Umso wichtiger und relevanter wird es für zukünftige Erstattungsbetragsverhandlungen, die Vorteile und Bedeutung eines neuen und innovativen Arzneimittels für den jeweiligen Versorgungskontext während der Verhandlung effektiv und effizient zu kommunizieren. Als probates Mittel hat sich dabei die Präsentation von Value Messages im Rahmen einer Value Story bewährt.
Der Stellenwert der Value Story in der Erstattungsbetragsverhandlung
Auf die Frage, welcher Preis für ein neues und innovatives Arzneimittel gerechtfertigt ist, werden Payer wie gesetzliche Krankenkassen und der pU als gewinnorientiertes Unternehmen unterschiedliche Antworten parat haben. Ein Faktor, der die Beantwortung dieser Frage entscheidend beeinflusst, ist der Value, der einem Arzneimittel beigemessen wird. Je größer der Value eines Arzneimittels, desto höher wird der Preis ausfallen, den die Payer bereit sind zu zahlen. Der Value eines Arzneimittels mag jedoch noch so groß sein – nicht richtig kommuniziert, kann er seine Wirkung nicht entfalten. Eine wichtige Schlüsselfunktion kommt deshalb der Value Story in der Erstattungsbetragsverhandlung zu. Werden einzelne Value Messages zum Arzneimittel durch das richtige Konzept miteinander verknüpft, so entsteht eine Value Story, die den GKV-SV in seiner Position als Vertreter der gesetzlichen Krankenkassen und damit zukünftiger Payer überzeugen kann.
Der Value-Begriff aus der Payer-Perspektive
Definitionen des Begriffs „Value“ gibt es wie Sand am Meer. Warren Buffet, einer der erfolgreichsten und erfahrensten Investoren, definiert den Value-Begriff aus der Payer-Perspektive („Price is what you pay. Value is what you get.“). Passt man diese Definition auf die Situation der Erstattungsbetragsverhandlung an, könnte man auch sagen, dass der Erstattungsbetrag letztendlich dem Value entspricht, den man an den Payer kommuniziert („The price you get is the value you communicate.“)
Value-Dimensionen in der Erstattungsbetragsverhandlung
Doch welche Values interessieren die Payer wirklich? Wie in Abbildung 1 gezeigt, können im Gesundheitswesen verschiedene Value-Dimensionen differenziert werden. Beispielsweise können neben dem evidenzbasierten medizinisch-wissenschaftlichen Value, der während der Nutzenbewertung nüchtern durchexerziert wird, der ökonomische und gesellschaftliche Value eines innovativen Arzneimittels unterschieden werden. Der medizinisch-wissenschaftliche Value ist insbesondere bei Arzneimitteln mit hochinnovativem Wirkmechanismus relevant. Für die Erstattungsbetragsverhandlung sollte sich der pU allerdings nicht nur auf die bekannten Evidenzrationalen zu Wirkung und Sicherheit seines Arzneimittels fokussieren. Vielmehr sollte der pU dem GKV-SV in seiner Rolle als Payer aufzeigen, welche spezifischen Values sich über die pharmakologischen Eigenschaften seines Arzneimittels hinaus ergeben – insbesondere im Kontext mit der zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT), die der Gemeinsame Bundesauschuss (G-BA) im Rahmen der Nutzenbewertung festgelegt hat. So bietet es sich beispielsweise bei Orphan Drugs oder Arzneimitteln für besonders vulnerable Patientengruppen wie Kinder an, den gesellschaftlichen Value deutlich zu betonen und aufzuzeigen, welche Unmet Medical Needs gedeckt werden können. Auch ökonomisch geprägte Value Messages können den pU in der Erstattungsbetragsverhandlung voranbringen. Beispielsweise kann im Rahmen der Value Story dargestellt werden, welche Kosten bei einem Therapieversagen der zVT entstehen und wieso es deshalb sinnvoll sein kann, sofort zu Therapiebeginn auf ein neues und innovatives Arzneimittel zurückzugreifen. Ebenfalls könnten auch indirekte Kosten bzw. Folgekosten thematisiert werden, die durch den Einsatz eines neuen Arzneimittels im Vergleich zur zVT vermieden werden, und welche Einsparungspotentiale sich daraus ergeben. Auch wenn die Gesundheitsökonomie im AMNOG formal keine große Rolle spielt, kann trotzdem versucht werden, sich durch eine entsprechende Argumentation einen Vorteil zu verschaffen, schließlich sind Payer naturgemäß empfänglich für ökonomische Argumente.
Abbildung 1: Dimensionen des Value-Begriffs. Quelle: co.value
Das Konzept des „Storytellings“ in der Erstattungsbetragsverhandlung
Typischerweise führt der rote Faden einer Value Story vom Problem zur Lösung oder anders gesagt: von der Erkrankung zum neuen Arzneimittel. Auf dem Weg zur Lösung sollten ebenfalls mögliche Nachteile der zVT sowie die Folgen eines Therapieversagens aufgezeigt werden (Abbildung 2).
Sind die Inhalte, die in der Value Story thematisiert werden sollen, festgelegt, stellt sich als nächste strategische Frage, wie die einzelnen Value Messages effektiv an die Verhandlungspartner des GKV-SV kommuniziert werden. Hier hat sich das Konzept des „Storytellings“ bewährt. Ziel des Storytellings ist, die Value Story lebendig zu erzählen und die Value Messages nicht nur logisch-sachlich aneinanderzureihen. Der Einsatz einer wohldosierten dramatischen und emotionalen Erzählweise kann helfen, die Aufmerksamkeit des GKV-SV auf die Bedeutung des neuen Arzneimittels im jeweiligen Versorgungskontext zu lenken. Beim Storytelling wird das zu verhandelnde Arzneimittel gewissermaßen als Held der Story dargestellt, dem die zu behandelnde Erkrankung als Schurke bzw. Antiheld gegenüberstellt wird. Auch das Einbringen von subjektiven Elementen wie „Case Reports“ können dabei helfen, dem GKV-SV den Value des zu verhandelnden Arzneimittels wirkungsvoll näher zu bringen.
Abbildung 2: Der rote Faden einer Value Story. Quelle: co.value
Risikoaverse Nutzenkommunikation
Um die Vorteile des jeweiligen Arzneimittels besonders eindrücklich hervorzuheben, empfiehlt es sich von der natürlichen Risikoaversion des Menschen zu profitieren. Dabei wird das Prinzip genutzt, dass der Nachteil eines Verlustes für die meisten Menschen schwerer wiegt als der Vorteil eines Gewinns. Dementsprechend kann man im Rahmen der Value Story insbesondere das aufzeigen und betonen, was dem Gesundheitssystem oder dem erkrankten Patienten entgeht, wenn man auf die zVT anstelle des neuen, innovativen Arzneimittels zurückgreift. Beispielsweise kann die Value Story aufzeigen, um wie viel geringer die Lebensqualität eines Patienten ist, der mit der zVT therapiert wird und nicht mit dem zu betrachtenden Arzneimittel, und mit welchem – im Sinne einer emotionalen Aufladung – Leid das für den Patienten verbunden ist.
Der Blick in die Zukunft – Value Advisory Boards
Um einer Value Story den letzten Schliff zu geben, sollte der pU die intern erarbeiteten Inhalte und Strategien im besten Fall extern validieren. Dafür werden häufig Payer Advisory Boards genutzt, bei denen externe Stakeholder mit Erstattungsexpertise an einen Tisch gebracht werden und in einen Diskurs zur entwickelten Value Story treten. Häufig gesehene Teilnehmer an solchen Payer Advisory Boards sind beispielsweise aktuelle oder ehemaligen Mitarbeiter von Krankenkassen. Für die spezielle Situation der Erstattungsbetragsverhandlung hat sich jedoch das diverser besetzte Value Advisory Board als geeigneteres Medium für die externe Validierung der Value Story gezeigt. Dabei werden neben den typischen Payern auch Teilnehmer hinzugezogen, die den Value eines Arzneimittels aus anderen Perspektiven verstehen, etwa Kliniker, Patienten und Angehörige (Abbildung 3). Hierdurch wird sowohl die Quantität als auch die Qualität des Expertendiskurses gesteigert: Der pU erhält eine umfassende Perspektive, die es ermöglicht, mit der resultierenden Value Story die gemeinsamen Interessen von pU und Payern noch besser hervorzuheben.
Abbildung 3: Optimale Zusammensetzung eines Value Advisory Boards. Quelle: co.value
Fazit
Durch die neuen Herausforderungen, die sich durch das GKV-FinStG ergeben, wird es zukünftig umso wichtiger sein, den Value eines neuen Arzneimittels bestmöglich im Rahmen einer Value Story herauszuarbeiten und im Kontext der zVT-Optionen zu positionieren, um einen optimalen Erstattungsbetrag zu erzielen. Dabei sollten medizinisch-wissenschaftliche, ökonomische und gesellschaftliche Value Messages durch ein Storytelling wirkungsvoll an den GKV-SV kommuniziert werden. Bevor die Value Story dem GKV-SV vorgestellt wird, empfiehlt sich eine externe Validierung durch ein Value Advisory Board. Die durch den Diskurs mit den Payern und weiteren Spezialisten erhaltene umfassende Perspektive verleiht der Value Story den letzten Schliff.